Freitag, 12. Februar 2010

Heute: Übergötter in Weiß

Die folgende Geschichte erreichte die Berlin-zum-Abgewöhnen-Redaktion:

Ein normaler Arbeitstag in der klinischen Forschung.
Die Probanden haben einen strikten Zeitplan:
Erster Proband:
8:25 Uhr – 8:55 Uhr Frühstück (Speiseraum, 2.OG)
8:56 Uhr Blutentnahme (im Zimmer, 1. OG)
9:00 Uhr Medikation (anderes Zimmer, 1. OG).

Zweiter Proband: Dasselbe um acht Minuten nach hinten verschoben.

An dem Plan läßt sich erkennen, daß die Blutentnahme keinesfalls pünktlich stattfinden kann und insgesamt nicht viel Zeit dafür bleibt.
Die Blutentnahme wird von Schwester R. durchgeführt, die Medikation vom Arzt. Nennen wir ihn Dr. Ging.

Dr. Ging ließ Schwester R. über einen Medizinstudenten ausrichten, in welches Zimmer sie die Probanden zur Medikation schicken sollte. Kurz darauf stand der Arzt im Probandenzimmer und sagte ihr dasselbe noch einmal persönlich, während sie mit der ersten Blutentnahme beschäftigt war. Er fügte noch hinzu: Dann brauchen wir noch Wasser. Schwester R. wies ihn darauf hin, daß im Medikationsraum kistenweise Wasserflaschen lagerten, leicht verwundert, daß ihm das nicht aufgefallen war.
Etwas Unverständliches vor sich hin murmelnd verließ Dr. Ging das Zimmer.

Einige Zeit danach saß Schwester R. mit ihren Kollegen beim Frühstück. Dr. Ging betrat den Raum und sagte etwas in die Runde, was R. nicht weiter beachtete. Sie wurde dann auf ihn aufmerksam und hörte „…, Madame.“ Auf ihre Rückfrage bestätigte er, daß er sie damit meinte. Sie beschloß, sich durch diese Beleidigung nicht provozieren zu lassen. Dr. Ging warf ihr vor, den Probanden keine Gläser mitgegeben zu haben, obwohl er danach verlangt hätte. Die würden nun fehlen. Während R. ihm noch erklärte, daß er nur von Wasser, nicht von Gläsern gesprochen hatte, wies Medizinstudentin K., die neben R. saß, darauf hin, daß in dem Schrank, neben dem der Arzt stand, jede Menge Gläser stünden. Der Arzt ignorierte die Studentin und verlangte weiter nach Gläsern. R. wiederholte den Hinweis von K. mit der Bemerkung: „Das steht sogar dran.“ Dr. Ging darauf mit einem etwas unsicheren(?) Lächeln: „Ach ja?“ Selbst wenn R. akustisch verstanden hätte, daß sie Gläser hätte organisieren sollen, hätte ihr die Zeit dazu gefehlt. Er allerdings hatte offenbar für alles Zeit, sah solche Botengänge aber scheinbar als unter seiner Würde an. Dies jedenfalls ging R. durch den Kopf, weshalb sie nicht mal ansatzweise Anstalten machte, die unterwürfige Schwester zu spielen und einfach sitzen blieb. Dr. Ging wandte sich um und verließ den Raum. Im Hinausgehen murmelte er noch etwas. Es war: „…bringst mir dann noch die Gläser…“, wie diejenigen, die es verstanden hatten, R. mitteilten.

Am Tisch entspann sich eine Diskussion darüber, was nun zu tun sei. Ein Medizinstudent, der R. keine überzeugenden Argumente dafür liefern konnte, dem Arzt die Gläser hinterherzutragen, tat das dann selber. Er fürchtete unangenehme Konsequenzen.

Soll man nun über Dr. Ging lachen, weil er unmöglich glauben kann, daß erwachsene Menschen ein solches Verhalten ernst nehmen? Oder muß man ihn bemitleiden, weil er es nötig hat, sein Ego durch alberne Machtspielchen aufzurichten?
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